Nach dem gegebenen ĩberblick ỹber Fang Dongmeis Religionsverstọndnis sollen einige An- merkungen diesen abrunden. Es wurde deutlich, dass sein Religionsverstọndnis gewisserma- òen mit der Auffassung der Huayan-Schule identisch ist. Auch beim Entwurf seines Weltdia- gramms hat er sich von der Philosophie der Huayan-Schule inspirieren lassen. Er bezeichnet
671 Der Originaltext: „Fu daren zhe yu tiandi he qi de“ 夫大人者与天地合其德, Yijing. Wenyan. Qian. Richard Wilhelm: 2007, S. 378.
672 Der Originaltext: „Tiandi yu wo bing sheng, wan wu yu wo wei yi“ 天地与我并生,万物与我为一, Zhuangzi.
Qiwulun 齐物论, Guo Qingfan: Zhuangzi jishi, 1985, S. 79. Deutsche ĩbersetzung: Richard Wilhelm: 1972, S.
46.
673 Der Originaltext: „Shi xi xian, xian xi sheng, sheng xi tian“ 士希贤,贤希圣,圣希天, Zhou Dunyi 周敦颐, Tongshu. Zhixue 通书, 志学 10.
674 Vgl. Fang Dongmei: Chinese Philosophy: Its Spirit and its Development, 1981, S. 27.
675 Vgl. Fang Dongmei: Huayanzong zhexue (shang), 2005h, S. 146-147.
676 Vgl. ebd., S. 141.
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sich selbst als Pantheist, er ist aber keinesfalls atheistisch, sondern ganz im Gegenteil, daher ist der Bezeichnung Panentheismus passender für ihn.
Für Fang Dongmei ist Religion wegweisend für das Leben des Menschen. Sie ist un- verzichtbar und ein unzertrennlicher Teil der chinesischen Tradition. Es gab in China tatsọch- lich keinen Bereich, der nicht von Religion berührt wurde, auch wenn dies nicht immer von allen anerkannt wurde.677 Fang Dongmei sprach jedoch vornehmlich von Religion aus der philosophischen bzw. metaphysischen Sicht. Die volkstỹmliche Religiositọt hat er nicht be- rücksichtigt. Seine Religionsauffassung stimmt deshalb auch mit seiner Philosophieauffas- sung überein. Philosophie soll dennoch nicht nur Theorie bleiben und sich vom aktuellen Le- ben fernhalten, sondern eng mit diesem verbunden sein. Auch die Gottheit im Panentheismus schwebt nicht in weiten Fernen, sondern ist immanent im Leben der Menschen. Fang Dong- mei hat auch ausdrücklich betont, dass der Panentheismus mit dem Geist der Philosophie we- sensverwandt ist und die panentheistische Gottheit und die philosophische übereinstimmen.678 Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die pantheistische Gottheit zugleich die religiửse ist und damit vom Menschen eher aufgrund einer Emotion, also über-rational erkannt wird, wọhrend die philosophische Gottheit auf rationale Weise zu erklọren ist.
Aus der Darstellung über Fang Dongmeis Philosophie kann man auch ablesen, dass er ein Idealist war mit dem Ziel, das Himmelreich auf Erden zu errichten. Er sagt dazu: „Unsere ideale Welt entspricht genau der wirklichen Welt, die durch spirituelle Erhửhung umgewan- delt wird.“679 Seine Auffassungen von der Welt, von dem Menschen und vor allem von der Religion sind verheiòungsvoll; der Mensch kann seine Werte in dieser Welt verwirklichen.
Dazu meint er:
„Unser Universum ist erfỹllt von Leben, das sich stọndig verọndert und nie auf- hửrt voranzuschreiten. Kein kreativer Antrieb des Lebens wird entmutigt, jegli- che gute Hoffnung des Lebens wird vollstọndig erfỹllt und alle vornehmen Idea- le des Lebens werden komplett verwirklicht“.680
Ob eine solche ideale Denkweise von den modernen Chinesen allgemein angenommen werden und ob sie ein konkreter Lửsungsvorschlag fỹr die vielen gesellschaftlichen Probleme sein kann, bleibt jedoch umstritten.
677 Vgl. Reiter, Florian C.: Religionen in China. Geschichte, Alltag, Kultur, München: Beck, 2002, S. 82.
678 Vgl. Fang Dongmei: Shengsheng zhi de, 2005c, S. 408-409.
679 Fang Dongmei: The Chinese View of Life, 1980a, S. 61.
680 Ebd., S. 91.
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In dem von ihm entworfenen Weltdiagramm stellt Fang Dongmei den idealen Ent- wicklungsprozess eines Menschen dar, der Mensch kann ihm zufolge die hửchste Stufe errei- chen. Er behauptet, dass jeder Mensch in der Lage ist, „Homo nobilis“ oder „Gott-Mensch“ zu werden. Diese Behauptung formuliert er in seiner Äuòerung „Menschlich zu sein ist gửttlich zu sein“ (To be human is to be divine)681. Der Schỹler Fang Dongmeis erklọrt seine Aussage als eine Hervorhebung, dass der Mensch die Mửglichkeit hat, sich unendlich nach Oben zu erhửhen.682 Aber er hat sich unmissverstọndlich dafỹr ausgesprochen, dass jeder Mensch durch eigene Bemỹhung ein „Gott-Mensch“ werden kann, auch wenn er einrọumt, dass die- ses Niveau schwer erreichbar ist.683 Diese Auffassung ist aber schwer nachvollziehbar. Nicht nur in der abendlọndischen, sondern auch in der traditionellen konfuzianischen Auffassung, wird die menschliche Grenze fỹr unabdingbar gehalten. Wenn der Mensch etwas Hửheres als sich selber anerkennt, muss er auch gleichzeitig seine eigene Grenze anerkennen, nur so ist er imstande, Glück zu erlangen.684
Fang Dongmeis Auffassung ist visionọr, er behandelt fast ausschlieòlich ideale Frage- stellungen. Er richtet sein Augenmerk immer auf das Ziel und die Zukunft der Menschen.
Aber der Mensch wird in seinem Leben auch mit Leid und Misserfolg konfrontiert, was meistens in der Religion zu Sprache kommt, bei Fang Dongmei jedoch kaum Aufmerksamkeit findet. Er selber hat auch zugegeben, dass das groòartige Ideal nur von wenigen Menschen gefasst werden kann und fỹr viele doch unzugọnglich bleibt.685 Er nimmt die Verletzlichkeit der menschlichen Natur und die Gefahr, in der sie sich befindet sowie die Frage woher diese kommt, nicht ernst. Sein Schema von der „rationalen Unternehmung und emotionalen Entfal- tung des Lebens“ (S. 114) ist auch zu schwach, um das Problem der so aufdringlichen Macht des Bửsen zu begegnen und eine Lửsung aufzuzeigen. Die Fragen ỹber die negative Seite des Lebens sind also von ihm unbeantwortet. Obwohl er immer wieder betont, dass die Philoso- phie dem Leben des Menschen dienen soll, bleibt seine Philosophie in dieser Hinsicht jedoch lebensfern.
681 Fang Dongmei: „Zhongguo zhexue dui weilai shijie de yingxiang“, in: ders.: Fang Dongmei yanjiangji, 2005b, S. 60.
682 Fu Peirong: 2005, S. 30.
683 Fang Dongmei: „Zhongguo zhexue dui weilai shijie de yingxiang“, in: ders.: Fang Dongmei yanjiangji, 2005b, S. 60-61.
684 Vgl. Kubin, Wolfgang: „Niemand, der mich kennt. Konfuzius und der Himmel“, in: minima sinica 2/2009, S.
22-23.
685 Fang Dongmei: „Zhongguo zhexue zhi tongxing yu tedian“, in: ders.: Fang Dongmei yanjiangji, 2005b, S. 89.
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Schlusswort
Zu Beginn dieser Arbeit wurden einige Fragen gestellt, um die Gründe für diese Untersu- chung zu nennen. Durch den Versuch der Erforschung der Religionsauffassung Fang Dong- meis sollte vor allem der Frage nachgegangen werden, warum Religion im heutigen China eine Wiederbelebung und rasche Entwicklung erlebt, obwohl der Atheismus dort als Haupt- ideologie vorherrscht. Diese Tatsache lọsst den Schluss zu, dass Religion sowohl im Leben des Einzelnen als auch in der Gesellschaft eine unentbehrliche Rolle spielt und es stellt sich hier die Frage, was man in China unter Religion versteht und was man von ihr erwartet.
Nachdem die Kosmologie, Anthropologie und Religionsauffassung von Fang Dongmei aus- fỹhrlich vorgestellt wurde, wird nun noch versucht, auf obige Fragen nọher einzugehen. Zuvor aber sollen die Hauptgedanken Fang Dongmeis und ihr geschichtlicher Hintergrund zusam- menfassend dargestellt werden.