Allgemeine und besondere Gerechtigkeit

Một phần của tài liệu Die per se schlechte handlung in der summa theologiae des thomas von aquin (Trang 204 - 212)

1. Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne: Die Einzelgerechtigkeit

Der Gegenstandsbereich der Einzelgerechtigkeit ist ein besonderer: Die umfassende sittliche Tugend betrifft alles, was durch die Vernunft seine Rechtheit erhalten kann, d.h. sowohl die inneren Leidenschaften der Seele wie auch die ọuòeren Tọtigkeiten und die ọuòeren Dinge, die vom Menschen gebraucht werden. Durch die ọuòeren Handlungen und den Gebrauch der ọuòeren Dinge treten Menschen aber zueinander in Beziehung, vermittelt ỹber die ọuòere Welt leben Menschen in Gemeinschaftlichkeit.649 Die ọuòeren Handlungen betreffen deshalb - insofern sie ọuòerlich sind - die Beziehungen der Menschen untereinander,

646 Vgl. Lippert 2000, S. 76 Fn 12; Maier 2002, S. 362 ff.. Mit dem Begriff des bonum humanum arbeitet auch Verpaalen 1954.

647 STh I-II q. 96 a. 4.

648 STh I-II q. 92 a. 2.

649 STh II-II q. 58 a. 8: „...per exteriores actiones et per exteriores res, quibus sibi invicem homines communicare possunt, attenditur ordinatio unius hominis ad alium“.

wọhrend in den inneren Leidenschaften das Verhọltnis des Menschen zu sich selbst zum Ausdruck kommt. Da die spezielle Gerechtigkeit das Ordnungsverhọltnis zwischen Menschen betrifft, ist ihr Gegenstandsbereich unmittelbar nur der der ọuòeren Handlungen, also enger als der der sittlichen Tugend insgesamt. Diese Einschrọnkung des Gegenstandsbereichs ist direkte Folge der auf das Gut des anderen hin erweiterten Perspektive: Denn was das Gut des anderen ist, họngt davon ab, was der andere will, und der Wille eines anderen ist nicht unmittelbar erkennbar650, sondern kann nur mittelbar anhand der ọuòeren Handlungen bzw.

der damit einhergehenden kửrperlichen Verọnderungen wie zB. der Mimik rỹckgeschlossen werden651. Der Wille vernỹnftiger Geschửpfe nọmlich ist nur Gott unterworfen, der als hửchstes Gut den Willen als Willen konstituiert. Folglich kann auch nur Gott die Willensstrebungen erkennen. Einem Menschen ist der Wille eines anderen Menschen verborgen.652 Das Gut des anderen ist fỹr mich prinzipiell nicht vollstọndig erkennbar, da dieser durch seinen Lebensentwurf selbst bestimmt, wie sein Wohl konkret verwirklicht wird. Meine Perspektive auf das Gut des anderen hin zu erweitern heiòt also nicht, zu wissen, was gut fỹr ihn ist. Es kann nur heiòen, ihn als jemanden zu respektieren, der ein eigenstọndiges Gut erstrebt, ihn also an der Verwirklichung seines Strebens durch ọuòere Handlungen nicht zu hindern. Es heiòt weiter, den anderen als jemanden zu verstehen, der mir denselben Respekt entgegenbringt, und auf diese Weise die Verwirklichung meines eigenen Gutsstrebens durch ọuòere Handlungen erst ermửglicht. Weil die Anerkennung der Eigenstọndigkeit des anderen in seinem Gutsstreben gerade die besondere Perspektive der Gerechtigkeit ausmacht, muss die Ordnungskraft der Gerechtigkeit auf ọuòere Handlungen – das, was ich vom anderen erkennen kann – beschrọnkt sein. Das Subjektive bleibt subjektiv, einen Zugriff auf Innerlichkeit kann es unter Menschen nicht geben.653

Die ọuòeren Handlungen sind zwar nicht ohne Leidenschaften denkbar: Einerseits folgt aus ihnen Trauer oder Lust, etwa, wenn sich der Gerechte an seinen gerechten Handlungen

650 Siehe STh I q. 57 a. 4 ad 1: „...modo cogitatio unius hominis non cognoscitur ab alio, propter duplex impedimentum: scilicet propter grossitiem corporis, et propter voluntatem claudentem sua secreta.“

651 STh I q. 57. a. 4: „...cogitatio cordis dupliciter potest cognosci. Uno modo, in suo effectu... Cognoscitur enim cogitatio interdum non solum per actum exteriorem, sed etiam per immutationem vultus: et etiam medici aliquas affectiones animi per pulsum cognoscere possunt.“

652 STh I q. 57 a. 4: „...solus Deus cogitationes cordium et affectiones voluntatum cognoscere potest.“

653 Und zwar nicht einmal unter Freunden bzw. Liebenden, denn obwohl die durch die Liebe (amor amicitiae) hergestellte Einheit zwischen Liebendem und Geliebtem das Streben nach vollkommener Erkenntnis des Geliebten erzeugt, so setzt vollkommene Liebe doch nicht vollkommene Erkenntnis voraus, STh I-II q. 27 a. 2 ad 2: „Ob hoc ergo contingit quod aliquid plus amatur quam cognoscatur: quia potest perfecte amari, etiam si non perfecte cognoscatur.“ Zu dieser Argumentation und allgemein dazu, dass Freundschaft die Gerechtigkeit nicht überflüssig macht, siehe Schwartz Porzecanski 2004, S. 40 f. und passim.

erfreut.654 Andererseits kann z.B. eine ungerechte ọuòere Handlung wie der Diebstahl gerade aus einer Leidenschaft wie Habgier entspringen. Die ọuòeren Handlungen erhalten ihre Artbestimmung jedoch nicht von den inneren Leidenschaften, sondern von den ọuòeren Dingen, insofern diese in das Handlungsobjekt integriert sind. Der Diebstahl verstửòt gegen den in den ọuòeren Dingen herzustellenden Ausgleich, das Handlungsobjekt „eine fremde Sache wegnehmen” ist als ọuòere Handlung Gegenstand der Gerechtigkeit.655

Die Leidenschaften haben also nur mittelbar mit der Einzelgerechtigkeit zu tun, insofern nọmlich die ọuòere Handlung der in die Welt tretende Teil einer einzigen Handlung ist, die auch einen inneren Akt hat, und insofern das Handlungsobjekt nicht unabhọngig von der inneren Perspektive des Akteurs konstituiert wird; unmittelbar ist Gegenstand der Einzelgerechtigkeit aber nur die ọuòere Handlung oder das Handlungsobjekt. So darf der Befugte (d.h. ein Richter) nur richten, wenn sein Urteil aus der Neigung der Gerechtigkeit hervorgeht und von der Gewissheit der Vernunft geleitet wird (Klugheit). ĩber das, was zweifelhaft oder verborgen ist, darf niemand urteilen: Hierzu gehửren die Absicht des Herzens und andere unsichere Dinge.656 Zugriff auf die Innerlichkeit hat der Richter, der auch als „lebendige Gerechtigkeit”657 bezeichnet wird, also nicht.

Die Einzelgerechtigkeit hat es also, gerade weil sie die Beziehungen zu anderen ordnet, mit ọuòeren Handlungen zu tun658; die Beurteilung einer Handlung nach objektiven Kriterien heiòt, die Perspektive der Einzelgerechtigkeit einzunehmen, wenn durch die Handlung aktuell oder potentiell die Beziehung zu anderen betroffen ist.

Diese Erwọgungen fỹhren dazu, dass Thomas die „Mitte” der Tugend Gerechtigkeit als sachbestimmte Mitte kennzeichnet659: Wọhrend die anderen Tugenden das Selbstverhọltnis des Menschen betreffen und deshalb die Mitte rein durch die subjektive Vernunft bestimmen (secundum rationem quoad nos), geht es bei der Gerechtigkeit um das Verhọltnis zum anderen. Dieses Verhọltnis ist aber vermittelt ỹber die Welt, ỹber ọuòere

654 Vgl. STh II-II q. 58 a. 9 ad 1.

655 Siehe STh II-II q. 58 a. 9 ad 2: „Sed quia operationes exteriores non habent speciem ab interioribus passionibus, sed magis a rebus exterioribus, sicut ex obiectis; ideo, per se loquendo, operationes exteriores magis sunt materia iustitiae quam aliarum virtutum moralium.“

656 Siehe STh II-II q. 60 a. 2 c. und ad 1.

657 STh II-II q. 67 a. 3, unter Berufung auf Aristoteles.

658 Vgl. Porter 2002, S. 276.

659 STh II-II q. 58 a. 10.

Handlungen.660 Dieser Wirklichkeits- oder Weltbezug erfordert, dass die Mitte der Gerechtigkeit eine sachbestimmte Mitte ist, die nicht nur der subjektiven Vernunftbestimmung eines Akteurs entspricht, sondern zugleich in der Wirklichkeit verobjektivierbar ist (secundum exterior operatio habet debitam proportionem ad aliam personam), nọmlich als Ausgleich zwischen ọuòeren Dingen und ọuòeren Personen. Die vernunftbestimmte Mitte ist so bei der Tugend der Gerechtigkeit zugleich sachbestimmte Mitte. Diese Verlagerung der vernunftbestimmten Mitte nach auòen ermửglicht die Konzeption der für die Einzelgerechtigkeit typischen Verpflichtung einem anderen gegenüber, der eine Berechtigung, ein rechtlicher Anspruch dieses anderen entspricht. Die Reziprozitọt von Verpflichtung und Berechtigung, Kennzeichen des debitum legale, erfordert, das Selbstverhọltnis der Tugend zu erweitern zu einem Verhọltnis zum anderen hin: Aus der bloò vernunftbestimmten Mitte wird so die sachbestimmte Mitte; das, was fỹr mich und mein Wohl gilt, wird erweitert zu dem, was für alle gilt. Nur so kann etwas, das das Wohl eines anderen betrifft, Bestandteil des fỹr mich Guten, mein Wohl Befửrdernden, Tugendhaften werden.

Wenn die Gerechtigkeit die Beziehungen der Menschen untereinander zum Gegenstand hat, so regelt sie nicht nur die richtige Verwaltung von Dingen, sondern auch das Verhindern von ungerechten Handlungen. Der Ausdruck „einem jeden geben, was sein ist”, soll das nicht ausschlieòen. Er wird verwendet, weil ursprỹnglich von Gerechtigkeit in Tauschverhọltnissen gesprochen wird. In erweitertem Sinne heiòt aber „jedem geben, was sein ist”, das rechte Verhọltnis der Gleichheit zu anderen Personen einzunehmen, anderen gegenỹber seine Schuldigkeit zu erfüllen – durch ordentliche Verwaltung der eigenen Angelegenheiten (Schọdigungen unterlassen) oder durch Verhindern ungerechter Handlungen (aktiv Schọdigungen verhindern).661

2. Verhọltnis von Einzelgerechtigkeit und Gesetzesgerechtigkeit

Wọhrend also die Gesetzesgerechtigkeit in jeder Tugend wirkt, insofern deren Gỹter einerseits auf das bonum commune auszurichten sind und andererseits in ọuòeren Handlungen verwirklicht werden, hat die Einzelgerechtigkeit speziell die Beziehungen zu anderen zum Gegenstand und ordnet ọuòere Handlungen unter diesem Aspekt. Hierbei findet ein Perspektivenwechsel von objektiver, ọuòerer Perspektive der Gerechtigkeit zu

660 STh I-II q. 100 a. 2: „Homines autem ordinantur ad invicem per exteriores actus, quibus homines sibi invicem communicant.“

661 STh II-II q. 58 a. 11.

innerer, subjektiver Perspektive der sonstigen Tugenden statt: Die Einzelgerechtigkeit ordnet zum Gut einer anderen Einzelperson hin, also zu etwas, das prinzipiell für den Handelnden ein anderes ist. Die Einzelgerechtigkeit schafft so einen Ausgleich zwischen zwei subjektiven Perspektiven, die voneinander unterschieden sein müssen. Die innere Handlungsseite der Handlung eines anderen ist für mich gerade nicht nachvollziehbar, das Gut des anderen ist nicht mein Gut. Sofern die Gesetzesgerechtigkeit jedoch auf das Allgemeingut ausrichtet, nimmt sie eine Perspektive ein, die für alle Einzelnen relevant ist: Wie die Teile eines Ganzen kửnnen die zu einem Gemeinwesen gehửrenden Einzelnen die Perspektive des allgemeinen Guten, des Ganzen, in ihre subjektiven Entwürfe integrieren. Zum Gut des Einzelnen als Teil des Ganzen gehửrt immer auch das Allgemeingut, noch mehr: Das Allgemeingut ist immer auch das Gut der Einzelnen. Dieser abstraktere Standpunkt des Allgemeinguts befọhigt mich dazu, das prinzipiell für mich opake Gut eines anderen nachzuvollziehen. Denn es handelt sich um den Standpunkt des für alle Richtigen, dem also, was auch in den obersten Vorschriften des natürlichen Gesetzes ausgedrückt wird. Dieses „für alle Richtige“, das bonum humanum, steht nicht zur Disposition des Einzelnen und ist doch durch die Einzelnen konstituiert. Was allen gleich ist, lọsst sich im Allgemeingut, dem bonum commune ausdrỹcken.662 Weil alles Handeln durch die ọuòere Handlungsseite „von auòen” betrachtet werden kann und dadurch eine Bedeutung hat, die von allen gleich verstanden werden kann und fỹr alle als Handelnde gleich relevant ist, deshalb lọsst sich diese Sphọre des Objektiven, der für alle verbindlichen Bedeutung des Handelns, im Begriff des allgemeinen Guten benennen. Denn wenn jeder Einzelne, um handeln zu kửnnen, sich dieser objektiven Bedeutung bedienen muss, dann kửnnen deren Gehalte nur so verstanden werden, dass sie das Gut jedes Einzelnen integrieren, sonst würden die Handlungen des Einzelnen unverstọndlich bzw. unmửglich. Fỹr jede Handlung gilt, dass sie um eines Gutes willen vollzogen wird; wenn handelnd also nicht immer auch das individuelle Gutsstreben verwirklicht wỹrde, gọbe es keine Akteure.

Die allgemeine Gerechtigkeit lenkt demnach den Blick auf die objektive Seite von Handlungen, insofern sie ọuòerliche Akte haben. So gibt es ọuòere Handlungen, die als Werke eines Tapferen aufgefasst werden, oder solche, die Werke eines Maòhaltenden sind.

Eine ọuòere Handlung kann also auch Ausdruck einer anderen Tugend als der Gerechtigkeit sein. Die nach auòen getretene innere Handlungsseite ist hierbei „nur” mittelbar Thema der Gerechtigkeit als der Tugend, die auf das Gut des anderen hinordnet, und heiòt in dieser

662 Auf diesen universellen Gehalt, das für alle Gleiche, verweist auch Maier 2002; anders Verpaalen 1954, der das bonum commune „im analogen Sinne“ verstehen will, so dass die konkreten Güter der Einzelnen in ihm enthalten sind.

allgemeinen Funktion allgemeine Gerechtigkeit oder Gesetzesgerechtigkeit. Das „Werk eines Tapferen“ mag unterschiedliche Gestalten haben, so dass sich keine Vorschrift formulieren lọsst, die bestimmte Handlungsarten als immer der Tapferkeit widerstrebend oder ihr immer dienlich formulieren lassen. Diese Unbestimmtheit erklọrt sich daraus, dass die durch tapferes Handeln angestrebten Ziele nicht festgelegt sind: Jedes wahre Gut eines Akteurs verdient, mit Tapferkeit erstrebt zu werden. Die Wahl mửglicher wahrer Gỹter von Akteuren aber ist – wie bereits für das natürliche Gesetz gesehen – nicht determiniert und von kontingenten Faktoren abhọngig. Wer den Wissenserwerb durch das Schreiben einer Doktorarbeit erstrebt, sieht sich mit ganz anderen Hindernissen konfrontiert, deren ĩberwindung Tapferkeit erfordert, als derjenige, der einen anderen aus einem brennenden Haus rettet. Was „tapfer handeln“ heiòt, lọsst sich daher nicht fỹr jeden Akteur gỹltig im Voraus benennen.663 Ja, selbst eine Handlung, die von auòen eindeutig das „Werk eines Tapferen“ zu sein scheint, mag nicht aus der Geisteshaltung der Tapferkeit heraus ausgeführt worden und daher keine tugendhafte Handlung des Akteurs sein. So scheint zum Beispiel mutig zu handeln, wer sich groòer Gefahr stellt, auch wenn er in Wahrheit die Grửòe der Gefahr aus Unwissenheit verkannt und daher gar nicht mutig gehandelt hat.664 Doch jeder Akteur ist formal zum tapferen Handeln verpflichtet, da seine Willensbetọtigung nur dann einwandfrei mửglich ist, wenn er mit Hindernissen umzugehen weiò, die sich seinen vernünftigen Entschlüssen entgegenstellen665. Diese objektive Verpflichtung ist eben wegen dieses Verpflichtungscharakters der allgemeinen Gerechtigkeit zugehửrig; es ist von jedem Akteur richtig zu sagen, dass tapferes Handeln die Willensbetọtigung und damit das Akteursein selbst schützt. Die Verpflichtung zu tapferem Handeln ist für alle Akteure gleich gültig, auch wenn die im Einzelnen durch tapferes Handeln zu erstrebenden Güter mannigfach und für jeden Akteur aus dessen eigener Perspektive zu bestimmen sind. Die allgemeine Gerechtigkeit benennt das, was für alle Menschen als handelnde Menschen gültig sein muss. Deshalb ist sie Ausdruck der allgemeinen Tugend.

Eine Besonderheit unter den Tugendakten weisen jedoch die Akte der (Einzel-)Gerechtigkeit auf. Denn hier lassen sich – anders als bei den anderen Einzeltugenden – einerseits ọuòere Handlungen benennen, die objektiv unrecht sind, andererseits aber stellt sich hier auch die Frage nach deren Zurechenbarkeit als eigenes Handeln des Akteurs in besonderer Weise.

663 Im Ergebnis ọhnlich Pieper 1953, S. 42: Nicht sinnvoll sei es, „nach dem, was „objektiv“ tapfer und feige, maòvoll und zuchtlos sei, auch nur zu fragen.“; siehe auch S. 48: „....weil es etwas „objektiv“ Ungerechtes gibt, wọhrend es sinnlos ist, von etwas „objektiv“ Feigem oder Geduldigem zu sprechen“.

664 Vgl. STh II-II q. 123 a. 1 ad 2.

665 STh II-II q. 123, a. 1.

Denn ein ọuòerer Akt kann ungerechte Verhọltnisse schaffen, auch wenn er dem Handelnden nicht zugerechnet werden kann, weil dieser z.B. aus Unwissenheit handelt.

Alles, was auòerhalb der intentio liegt und aus Unwissenheit geschieht, mag zwar eine ọuòerliche Unausgeglichenheit, d.h. einen unrechtlichen Zustand herstellen, ist aber keine Handlung eines Ungerechten.666 Handlungen sind auf ein Ziel ausgerichtet. Nur das, was von der intentio umfasst ist, ist per se auf ein Ziel ausgerichtet. Was auòerhalb der intentio ist, ist nur per accidens mit dem Ziel verbunden. Die per se Beziehung ist entweder durch direktes Beabsichtigen (finis operantis) vom Akteur hergestellt, oder sie liegt als notwendige Folge einer Verhaltensweise auch notwendig in der Wahl einer bestimmten Handlungsweise (finis operis). Ein nur ọuòerliches Herstellen eines ungerechten Zustandes ohne intentionale Bindung kann folglich nur im uneigentlichen Sinne als ungerechte „materiale Handlung”

bezeichnet werden.667 Das Problem, dass man auch im uneigentlichen Sinne in solchen Fọllen von „unrecht handeln” spricht, stellt sich nur bei der Tugend der Gerechtigkeit668, denn nur sie hat die ọuòeren Dinge zu ihrem Gegenstand, und ọuòere Handlungen kửnnen wie alle ọuòeren Dinge auch wie Vorkommnisse – nicht wie Handlungen – beschrieben werden: Verstửòe gegen die anderen Tugenden mỹssen die Beziehung des Akteurs zu seiner Handlung schon wegen ihres das Innere betreffenden Gegenstandsbereichs in der Beschreibung der nicht tugendgemọòen Handlung enthalten. So handelt unmọòig schon per definitionem nur derjenige, der nicht bloò zufọllig oder unbeabsichtigt etwas tut. Bei der Gerechtigkeit geht es jedoch primọr um die ọuòere Handlung. Ein ọuòeres Geschehen kann prinzipiell auch ohne Einbeziehen der inneren Handlung, d.h. der intentionalen Beziehung des Akteurs zu der Handlung, beschrieben werden. Eine solche Beschreibung kann aber nur

quasi”, uneigentlich, auf die Handlung angewendet werden. Es ist nicht die Beschreibung einer Handlung, sondern die eines ọuòeren Geschehens. Eine unrechte Handlung im eigentlichen Sinne entspricht deshalb immer einem per se schlechten Handlungsobjekt.

Wenn nun die Gesetzesgerechtigkeit abstrakt bestimmt, was recht und unrecht hinsichtlich des bonum humanum ist, konkretisiert die Partikulargerechtigkeit das, was recht ist in Bezug auf konkrete menschliche Beziehungen. Was ein per se schlechtes Handlungsobjekt ist, kann

666 Der Einwand von Williams 1980 gegen die aristotelische Konzeption der Einzelgerechtigkeit als partikularer Tugend, dass eine ungerechte Handlung nicht immer auf eine ungerechte Charakterverfassung rückführbar sei, wird also von Thomas durch die Unterscheidung von ọuòerem Geschehen und ọuòeren Handlungen ausgerọumt. Vgl. zur Kritik an Aristoteles Horn 2002, S. 29 f.

667 STh II-II q. 59 a. 2: „Et ideo si aliquis faciat aliquid quod est iniustum non intendens iniustum facere; ....tunc non facit iniustum per se et formaliter loquendo, sed solum per accidens, et quasi materialiter faciens id quod est iniustum.“

668 STh II-II q. 59 a. 2 ad 3.

also nicht nur durch Verallgemeinerung bzw. abstrakte Bestimmung des bonum humanum ermittelt werden, sondern bedarf der kontextberücksichtigenden Konkretisierung durch die Tugend der (Partikular-)Gerechtigkeit.

Der subjektive Teil einer Handlung wird im ọuòeren Handeln jedenfalls teilweise verobjektiviert, da das ọuòere Handeln unabhọngig vom Akteur in sich selbst, d.h. in seinen mửglichen Beziehungen auf andere hin, betrachtet werden kann.669 Dies geschieht bei der Einzelgerechtigkeit, deren Gegenstand im Gegensatz zu den anderen sittlichen Tugenden nicht innere Strebungen, sondern ọuòere Handlungen, operationes, sind. Hier wird nicht die Angemessenheit einer Handlung in Bezug auf den Akteur selbst thematisiert, sondern die Angemessenheit der ọuòeren Handlungen in Bezug auf andere. Die von der Einzelgerechtigkeit ausgesprochene Verpflichtung ist folglich primọr keine Verpflichtung sich selbst und der eigenen Handlungsfọhigkeit gegenỹber, sondern sie besteht in Beziehung auf einen anderen Akteur, einen Berechtigten. Dessen Berechtigung entsteht daraus, dass die eigene Perspektive des Akteurs auf das Gut des anderen hin erweitert wird. Die Undurchdringlichkeit der fremden Perspektive, die verbietet, sich anzumaòen, bestimmen oder auch nur erkennen zu kửnnen, was fỹr den anderen ein Gut darstellt, kann nur überwunden werden, indem der andere vermittelt über die Perspektive der Allgemeinheit, des allgemeinen Wohls, in den Blick gerọt. Indem etwas als Gut identifiziert wird, das fỹr alle Akteure aufgrund ihrer Akteurseigenschaft ein Gut sein muss, wird jedem Akteur von der Einzelgerechtigkeit ein eigener Bereich des Gutsstrebens zugewiesen, innerhalb dessen er anderen gegenỹber den Anspruch hat, nicht gestửrt zu werden. Sofern etwas zu diesem verallgemeinerbaren, fỹr jeden Akteur Guten Gehửriges Endpunkt des tugendhaften Handelns ist, kann auch tapferes oder maòvolles Handeln im Sinne der Gesetzesgerechtigkeit allgemeingültig benannt werden. Obwohl also das Gut des einen Einzelnen nicht das Ziel eines anderen Einzelnen ist (deshalb die Einzelgerechtigkeit, die die Beziehung zum anderen ordnet) – der innere, subjektive Teil einer Handlung bleibt eben subjektiv –, so ist doch das Gut des Ganzen Ziel jedes einzelnen Teils und das Subjektive kann mittelbar, in seinen ọuòeren Verobjektivierungsformen, als abstrakter Ausdruck des

669 STh I-II q. 60 a. 2: „...quia bonum et malum in quibusdam operationibus attenditur secundum seipsas, qualitercumque homo afficiatur ad eas: inquantum scilicet bonum in eis et malum accipitur secundum rationem commensurationis ad alterum. Et in talibus oportet quod sit aliqua virtus directiva operationum secundum seipsas ... omnes huiusmodi operationes in quibus attenditur ratio debiti vel indebiti ad alterum. Et propter hoc, iustitia et partes eius proprie sunt circa operationes sicut circa propriam materiam.“, vgl. auch Pieper 1953, S. 44.

normalerweise mit einer bestimmten ọuòeren Handlung Erstrebten, in der allgemeinen Tugend oder Gesetzesgerechtigkeit für alle gültig angesprochen werden.670

Một phần của tài liệu Die per se schlechte handlung in der summa theologiae des thomas von aquin (Trang 204 - 212)

Tải bản đầy đủ (PDF)

(283 trang)